Was bedeutet Chemnitz für die Arbeit als Lehrende?

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Nach den Ausschreitungen in Hoyerswerda 1991, dem Pogrom in Rostock-Lichtenhagen 1992 und dem Mordanschlag in Mölln 1992 war den meisten Menschen klar, dass etwas getan werden muss. Ich arbeitete damals in der sozialen Arbeit und es war allen von uns klar, dass wir mit dafür verantwortlich sind, dass sich derart verabscheuungswürdige Taten nicht wiederholen. Wir fühlten uns zuständig für jeden einzelnen Klienten, da jeder einzelne Mensch Teil der Gesellschaft ist. Jeder nimmt Einfluss auf das große Ganze. Wir dürfen niemand zurücklassen. Und damit meinten wir Bildung und soziale Gerechtigkeit für alle.

Jetzt arbeite ich in der Schule im Auftrag des Landes und habe den Diensteid abgelegt. Und da wird es bezogen auf die unterrichtliche Bearbeitung der Ausschreitungen in Chemnitz meiner Meinung nach sehr konkret:

Ich habe geschworen das Grundgesetz und alle in der Bundesrepublik Deutschland geltenden Gesetze zu wahren und meine Amtspflichten gewissenhaft zu erfüllen.

Die Würde des Menschen ist unantastbar. Unter Anderem dieses wichtige Gesetz zu vermitteln, jeden Tag vorzuleben und zu verteidigen ist somit meine Aufgabe und zudem eine schulische Aufgabe.

Das Schulgesetz sagt ganz eindeutig: die Schule ist insbesondere gehalten, die SchülerInnen zur Menschlichkeit und Friedensliebe, zur Achtung der Würde und Überzeugung Anderer (..) zu erziehen. Ebenso zu Anerkennung der Wert- und Ordnungsvorstellungen der freiheitlich demokratischen Grundordnung zu erziehen. Dies schließt Auseinandersetzung nicht aus, die freiheitlich demokratischen Grundordnung darf aber nicht in Frage gestellt werden.

Der Bildungsplan in meinem Bundesland Baden-Württemberg sieht vor, dass Schule als Ort von Toleranz und Weltoffenheit es jungen Menschen ermöglicht, die eigene Identität zu finden und sich frei und ohne Angst vor Diskriminierung zu artikulieren. Indem Schülerinnen und Schüler sich mit anderen Identitäten befassen, sich in diese hineinversetzen und sich mit diesen auseinandersetzen, schärfen sie ihr Bewusstsein für ihre eigene Identität. Dabei erfahren sie, dass Vielfalt gesellschaftliche Realität ist und die Identität anderer keine Bedrohung der eigenen Identität bedeutet.

Da ich selbst social Media aktiv bin, weil ich das Netz nutzen möchte, von den positiven Möglichkeiten und Chancen des Internet immer noch überzeugt bin und ich das Netz nicht den Trollen überlassen will, sah ich mich auch schon der Kritik ausgesetzt meine Pflichten als Lehrer und Beamter zu verletzen, weil ich öffentlich und eindrücklich vor den Gefahren von rechts warne. Für Lehrende gilt der sogenannte Beutelsbacher Konsens. In ihm wurde unter Anderem vereinbart, dass Lehrende die SchülerInnen nicht überwältigen dürfen. Das bedeutet konkret, dass die SchülerInnen befähigt werden sollen sich selbst eine (politische) Meinung bilden zu können. Der Lehrende darf seine eigene politische Meinung nicht überstülpen. Das Schulgesetz sieht Auseinandersetzung mit der Demokratie vor, stellt aber klar fest, dass die demokratische Grundordnung nicht in Frage gestellt werden darf. Und zu dieser gehört die Würde des Menschen und unter anderen vielen aber wichtigen Bestandteilen die Pressefreiheit. Daher gehört es meines Erachtens nach zwingend zum schulischen Auftrag SchülerInnen zu befähigen rechtspopulistische Sprache hinterfragen und bewerten zu können. Dazu gehört Kenntnis von Sprache, historische Hintergründe wie beispielsweise beim Wort “Lügenpresse” und das Wissen um die die persönliche Freiheit jedes Einzelnen und die damit einhergehende Verantwortung in einer Demokratie.

Wenn wir es ernst meinen mit der Bildung unserer SchülerInnen zu kritischen und mündigen BürgerInnen, dann müssen wir sie Demokratie lehren. Wir müssen ihnen den Wert von Freiheit, Gleichheit und Toleranz beibringen. Wir müssen ihnen die Kompetenzen lehren Unterschiedlichkeit, Globalisierung und Zukunftsangst für sich selbst und die Gemeinschaft bewerten zu können und die sich selbst einen Weg in der Gesellschaft zu finden. In der Gesellschaft und nicht gegen sie.

Meine Schule ist aktives Mitglied im Netzwerk Schule ohne Rassismus – Schule mit Courage. Jede Schule sollte Mitglied in diesem lebendigen Netzwerk sein! Antirassismus ist ein demokratischer Auftrag. Ein demokratisch denkender Mensch kann kein Rassist sein.

Daher ist es unerlässlich für die Zukunft unseres Landes im Rahmen des Bildungs- und Erziehungsauftrages zur Demokratie zu erziehen und zu bilden, Gefahren für die freiheitlich-demokratische Grundordnung konkret zu benennen und sich nicht von Drohungen der Rechten Angst machen zu lassen, die kritische Lehrkräfte gemeldet haben wollen. Ausschreitungen wie in Chemnitz und die Reaktion der Zivilgesellschaft sind unbedingt in der Schule zu thematisieren. Ob in der Klassengemeinschaft, im Ethikunterricht oder in der SMV-Arbeit, wir müssen diese bereits langjährige negative Entwicklung thematisieren und daraus gemeinsam in der Schule lernen – für’s Leben.

Aus Scheu oder Angst dem Beamtenschwur und dem Schulgesetz nicht zu folgen, indem man sich raushält ist nicht der richtige pädagogische Weg. Der richtige Weg ist es sich der besorgniserregenden Entwicklung zu stellen, als Lehrende, als Eltern, als Privatperson. Und es stimmt was am Montag in Chemnitz aus den Kehlen von 65.000 Menschen zu hören war: wir sind mehr.

3 Kommentare

    1. Meiner Meinung nach ist jedes Fach und jede Lehrkraft gefordert die Thematik alters- und entwicklungsgemäß einzubringen. Egal ob Deutsch, Ethik oder Sport, die SMV-Arbeit oder im Schülertreff. Die Ausbildung sozialer Kompetenzen und das Erlernen demokratischer Prozesse ist die Aufgabe der gesamten Schule.

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