Die Friedenspädagogik in Deutschland, die bis zur sogenannten Zeitenwende durch den russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine als State of the Art in der Bildung galt, entstand in Deutschland nach 1945. Sie entstand aus dem schrecklichen Nationalsozialismus und versteht sich als eine Theorie und Praxis der Bildung für Frieden, die sowohl individuelle als auch gesellschaftliche Dimensionen einbezieht. Ziel ist es, Menschen zu befähigen, Konflikte gewaltfrei zu lösen und eine Kultur des Friedens zu entwickeln.
In der Friedenspädaogik werden verschiedene Ansätze verfolgt, wie etwa das dialogische Prinzip nach Martin Buber, die Konflikttransformation oder die Globale Bildung. Diese Ansätze setzen auf partizipative und interaktive Lernformen, die auf Augenhöhe zwischen den Lernenden stattfinden. Die Friedenspädagogik wird nicht nur in der Schule, sondern auch in der Erwachsenenbildung und in non-formalen Bildungskontexten umgesetzt. Dabei geht es nicht nur um die Vermittlung von Wissen, sondern auch um die Förderung von sozialen Kompetenzen wie Empathie, Konfliktfähigkeit und interkultureller Sensibilität. Die Friedenspädagogik schließt meist die Anwendung von militärischen Einsätzen theoretisch und gedanklich aus.
Seit dem völkerrechtwidrigen russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine erfährt die Friedenspädagogik in Deutschland eine neue Aktualität. Dabei geht es gedanklich und inhaltlich nicht mehr nur um die Förderung von Frieden im Sinne von Abwesenheit von Krieg und Gewalt und um eine aktive Gestaltung einer friedvollen Gesellschaft, sondern im Kern auch um die Frage, ob die Friedenspädagogik Grenzen hat.
Ich selbst war immer der Meinung, dass beispielsweise die Bundeswehr nichts in der Schule verloren hat. Meine Kritik galt insbesondere den Veranstaltungen (Werbeveranstaltungen) für die Bundeswehr in Schulen, die das Ziel haben, junge Menschen für den Dienst in der Armee zu rekrutieren. Im Kontext des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine stellt sich jedoch die Frage, ob die Friedenspädagogik nicht auch die Rolle der Bundeswehr als Verteidigerin der Freiheit und des Friedens berücksichtigen muss. Es geht mir nicht nicht darum, die Kriegseinsätze der Bundeswehr zu rechtfertigen oder zu verharmlosen, sondern um die Frage, ob eine Friedenspädagogik, die militärische Verteidigung nach den UN-Charta Artikel 51 ablehnt, nicht zu einseitig ist und ob sie nicht auch die Rolle der Bundeswehr im Kontext globaler Konflikte berücksichtigen muss.
Diese Charta beeinträchtigt im Falle eines bewaffneten Angriffs gegen ein Mitglied der Vereinten Nationen keineswegs das naturgegebene Recht zur individuellen oder kollektiven Selbstverteidigung, bis der Sicherheitsrat die zur Wahrung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit erforderlichen Maßnahmen getroffen hat. Maßnahmen, die ein Mitglied in Ausübung dieses Selbstverteidigungsrechts trifft, sind dem Sicherheitsrat sofort anzuzeigen; sie berühren in keiner Weise dessen auf dieser Charta beruhende Befugnis und Pflicht, jederzeit die Maßnahmen zu treffen, die er zur Wahrung oder Wiederherstellung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit für erforderlich hält.
Artikel 51 (UN-Charta)
Herrmann Josef Abs führt in der Zeitschrift „Pädagogik“ mit dem Überthema „Demokratie lernen“ in seinem Artikel „Neue Friedenspädagogik in Kriegszeiten“ sehr gut aus, dass die Friedenspädagogik davon ausgeht, dass beide Konfliktparteien grundlegend die gleichen Rechte haben und den Konflikt aushandeln könn(t)en. Er erklärt, dass die Suche nach einem Kompromiss, nach einer friedlichen Lösung, aber nicht gegeben ist, da zwischen einem Interessenskonflikt und unidirkektionaler Schadensintention unterschieden werden muss. Eine Streitschlichtung auf Augenhöhe ist in der Schule als sinnvoll anzusehen, bei Mobbing aber hat eine Partei eine machtvolle Position inne. Somit kann sich die andere Partei nicht auf Augenhöhe wehren. Im Fall von Mobbing ist es Aufgabe der Schule das Opfer zu schützen und die Täter:innen einzugrenzen. Und Hermann Josef Abs bringt es auf den Punkt: „Pädagogisch verlangt unsere Garantenstellung als Lehrkräfte, dass wir Gewalt gegen Kinder, falls erforderlich, auch mit dem Einsatz von Gewalt beenden.“ („Neue Friedenspädagogik in Kriegszeiten“, Pädagogik 3/23, Seite 12)
Die Erziehung zum Frieden hat seine unbedingte Berechtigung und ist das Maß aller Dinge. Ist doch Frieden das Maß aller moralischen Anstrengungen. Kant schuf die Grundlage mit seinem kategorischen Imperativ und legte mit seiner Schrift “Zum ewigen Frieden” (1795) Vorschläge vor, wie der politische Frieden institutionell herbeigeführt und gesichert werden könne, auch zwischen den Völkern. Mit seiner Idee von einem Völkerbund, in dem sich die Staaten verpflichten, wechselseitig ihre Freiheit und Souveränität zu respektieren und zu schützen, legte er das Fundament, auf dem sich 1919 der Völkerbund und schließlich 1945 die Vereinten Nationen gründeten (vgl. , 23.03.2023)
Doch ist es meines Erachtens nach unrealistisch und auch unverantwortlich gegenüber den nächsten Generationen, insbesondere auch im Hinblick auf schwindende Ressourcen und den menschengemachten Klimawandel, das Augenmerk nicht auch auf die militärische Verteidigung zu legen. Militärische Einsätze sind für die Bundeswehr nichts Neues.
„Seit Anfang der neunziger Jahre hatte die Bundeswehr an Militäraktionen der NATO gegen das damalige Jugoslawien und an einem Einsatz der Vereinten Nationen in Somalia teilgenommen. Zwei Fraktionen des Bundestages beantragten darauf hin beim Bundesverfassungsgericht festzustellen, dass die Bundesregierung durch die Mitwirkung an diesen Aktionen gegen das Grundgesetz verstoßen habe. In seinem Urteil vom 12. Juli 1994 bezeichnete das Bundesverfassungsgericht die Vorschrift des Art. 24 Abs. 2 GG als ausdrückliche Ermächtigung für Streitkräfteeinsätze im Ausland. Art. 24 Abs. 2 GG bestimmt, dass sich der Bund zur Wahrung des Friedens einem System gegenseitiger kollektiver Sicherheit anschließen kann. Ein solcher Beitritt schließt – so das höchste deutsche Gericht – auch eine Verwendung der Bundeswehr zu Einsätzen ein, die im Rahmen und nach den Regeln dieses Systems stattfinden. Ein Auslandseinsatz der Bundeswehr ist damit im Rahmen der Vereinten Nationen (VN), der NATO und der Europäischen Union (EU) zulässig.“ (Quelle, 21.03.2023) Und es folgten noch mehrere Einsätze der Bundeswehr.
Doch diese Einsätze, zur Wahrung des Friedens, hatten nicht zur Folge, dass wir den Gedanken der wehrhaften Demokratie in der Bildung gemeinsam mit der Friedenspädagogik gedacht haben. Und wenn es gedacht wurde, dann wurde es nicht laut gesagt. Die schreckliche Geschichte des Nationalsozialismus immer im Hintergrund war es seit jeher schwer als Pädagog:innen militärische Intervention und auch Gewalt als notwendiges Mittel für die Demokratie und Friedenssicherung zu denken und zu argumentieren. Wir müssen anfangen darüber nachzudenken, dass unsere Demokratie und unsere Friedenserziehung auch die notwendige militärische Sicherheit und Fähigkeit beinhaltet. Und das schließt die Bundeswehr als Arbeitgeber selbstverständlich mit ein.