Vorbemerkung: Eine Reihe von bildungsaffinen Bloggern hat sich zum Ziel gesetzt, 2024 häufiger thematisch gemeinsam zu bloggen. Die Themenvorschläge werden an dieser Stelle gesammelt, alle Beiträge zum aktuellen Thema sind unter dem Beitrag zu finden. Wer sich beteiligen möchte, aber keinen Blog hat, kann gerne einen Beitrag einreichen – er wird dann als Gastbeitrag publiziert.
Ich freue mich immer darauf, selbst einen Blogbeitrag der Blogparade beizusteuern. Und hierzu habe ich was zu schreiben. Nach dieser Europawahl noch mehr.
Die Jugend (und auch der Rest der Gesellschaft) wird konservativer und rückt nach rechts. Es besorgt mich.
Es gibt verschiedene Gründe, warum Jugendliche zu extremen Parteien oder Ideologien tendieren. Möglicherweise ist es die Suche nach Identität und Zugehörigkeit: Jugendliche befinden sich in einer Phase des Lebens, in der sie nach einer starken Identität und Zugehörigkeit suchen. Extreme Parteien bieten oft einfache Lösungen für komplexe Probleme und versprechen eine klare Identität und Zugehörigkeit zu einer Gruppe. Siehe auch das Sessionprotokoll zur Session „Wir brauchen wieder einen starken Mann“.
Die Jugendlichen können aufgrund persönlicher oder gesellschaftlicher Umstände frustriert und unzufrieden sein. Extreme Parteien bieten einfache Sündenböcke und Verschwörungstheorien, um diese Frustration zu kanalisieren. Im Mai 2023 hat die Deutsche Welle diese Umfrageergebnisse veröffentlicht:
Screenshot Quelle: https://www.dw.com/de/jugend-in-deutschland-zwischen-zufriedenheit-und-zukunftsangst/a-65715969, 12.06.2024, 21:18 Uhr
In unserer VUCA/BANI-Welt sind also viele Jugendliche besorgt über ihre Zukunft und die Zukunft unserer Gesellschaft. Extreme Parteien können mit einfachen Antworten auf komplexe Probleme und Versprechungen von Sicherheit und Stabilität locken. Sicherheit scheint tatsächlich einer der Hauptgründe zu sein. Junge Menschen schauen zum Teil ängstlich in die Zukunft und auch die Gegenwart.
Und die extremen Parteien bieten eine Vision, zwar eine einfache und in sich falsche Vision, aber sie bieten eine. Und wo, potzblitz nochmal, sind denn die positiven zukunftsgerichteten Visionen der demokratischen Parteien? Warum sind sie so spät (und so unbeholfen) auf TikTok eingestiegen, wo die AfD und andere extreme Parteien schon längst das Feld bestellt haben? Wo sind die Politiker:innen mit Visionen, die die Menschen mit einer positiven Vision des Zusammenlebens, von Europa und der Zukunft abholen und mitnehmen?
Bezogen auf die Schulen bedeuten diese Einschätzungen, dass wir als Lehrkräfte, als Institution Schule, als Lebensmittelpunkt vieler Schüler:innen, wesentlich mehr tun müssen.
Aber wo können Schüler:innen in der Schule Demokratie lernen? Zuerst einmal ist sehr wichtig, dass die Beteiligung echt ist. Einen Valentinstag zu organisieren oder darüber abzustimmen, an welchen Ort man einen Ausflug macht, ist, wenn überhaupt, erstmal ein Anfang.
In der Art und Weise, wie Schuldemokratie gelebt wird, in den Gremien genauso wie im Unterricht in der Klasse, werden für Schülerinnen und Schüler Chancen vergeben: Chancen vergeben im doppelten Wortsinn. Demokratie kann einmal erfahren werden als Feigenblatt, als Störfaktor, als Überfahrenwerden, als ausgetrickst werden, als Abgeschnittensein von Informationsflüssen und Entscheidungsprozessen. Demokratie kann aber auch gelebt werden und so erfahren werden als Möglichkeit, seine eigenen Interessen und Ideen einem fairen Diskussionsprozess zu unterziehen, als Möglichkeit, seinen Lebensbereich mitzubestimmen (Partizipation) und im eigenen Sinn positiv zu verändern.
Pichler, Herbert: Politische Bildung als gelebte Praxis. In: Beitrag zur Demokratie-Bildung in Europa. Herausforderungen für Österreich. Wochenschau- Verlag, Schwalbach/Ts., 2006, S. 106
Klassenrat, die SMV, Schulvollversammlungen und weitere demokratiebildende Angebote wie Projekttage zum Thema politische Bildung oder Projektwochen wie „Uhlmanien 3.0“ sind wichtige Instrumente, um Schüler:innen zu ermächtigen und sie dazu zu ermutigen, sich aktiv in die Gestaltung ihrer Schule und der Gesellschaft einzubringen.
Zudem ist es immens wichtig, dass die Schüler:innen lernen, ihre Meinungen und Ideen frei zu äußern und zu vertreten, sich für ihre Rechte einzusetzen und demokratische Prozesse zu verstehen. Wir müssen diese „tools“ richtig und konsequent einsetzen, um den Lernenden zu ermöglichen demokratische Grundlagen zu erfahren und zu erlernen. Und das funktioniert – wie jedes andere Lernen – einfach gut durch Erfahrungen. Also setzen wir die Instrumente konsequent und gut ein, die wir bereits haben, packen das mit einem mindset der Lehrkräfte zusammen, welches von einem humanistischen Menschenbild geprägt ist, dann sind wir auf dem richtigen Weg. Die Lehrkräfte müssen es nur wollen. Und bitte kommt mir nicht mit der vermeintlichen Neutralität von Lehrkräften, die gibt es schlicht nicht. Wir treten ein für die demokratische freiheitliche Grundordnung. Wir können und müssen unseren Teil dazu beisteuern. Und last but not least: 84,1 % der Wähler:innen haben ihr Kreuz nicht bei der AfD gemacht. Das dürfen wir nicht vergessen – genau das wollen die extremen Parteien.
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