Scrum is not dead.

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Im Moment wird Scrum im Netz stark kritisiert. Viele Lehrkräfte haben mich darauf angesprochen, kommt doch das agilen Denken und Agilität im Allgemeinen so langsam in der Schule an. Ich möchte hier auf ein paar Kritiken eingehen.

Falls du Scrum nicht kennst, ganz kurz erklärt: Scrum ist eine Projektmanagement-Methode aus der Agilität für die Produktentwicklung. Es gibt einen festen Ablauf, klare Rollen und Regeln. (Wenn du mehr wissen willst, klick hier).

Die Methode allein macht niemanden agil. Aber man kann lernen, was Agilität bedeutet. Agilität bedeutet, dass man schnell auf neue Situationen reagieren kann. Das kann bei Lernenden, die gerade mit Scrum arbeiten, genauso sein wie bei Lehrenden.

Schauen wir uns ein paar der aktuell im Netz vorgetragenen Kritiken im Einzelnen mal an.

Scrum dominiert als Prozess alles.

Die Aussage „Scrum dominiert als Prozess alles“ ist im Kontext agiler Bildung nicht zutreffend, denn Scrum ist zwar ein hervorragendes Framework, aber nicht das einzige agile Vorgehensmodell. In der agilen Bildung gibt es eine Vielzahl von Methoden und Ansätzen wie Kanban oder Design Thinking, die ebenfalls in unterschiedlichen Kontexten nützlich und effektiv sein können. Jedes dieser Modelle bietet unterschiedliche Werkzeuge und Techniken zur Umsetzung agiler Prinzipien, die sich je nach Bedarf und Situation ergänzen.

Scrum eignet sich jedoch besonders gut für den Einstieg in die agile Bildung, da es mit seinen klaren Regeln und Rollen einen strukturierten Rahmen bietet, der sowohl Lehrenden als auch Lernenden Orientierung gibt. Gerade unerfahrene Lehrende und Lernende profitieren von der Einfachheit des Frameworks. Durch die festen Zeitrahmen (Sprints), die regelmäßigen Reflexionen (Retrospektive und Review, in der Schule gerne in ein Meeting zusammengelegt) und die klare Rollenverteilung (Product Owner, Scrum Master, Team) können sie schnell ein Grundverständnis für agiles Projektmanagement erlangen. Diese Klarheit reduziert die Anfangshürden und ermöglicht es den Beteiligten, sich sicher im Prozess zu bewegen.

Im weiteren Verlauf kann dann je nach Bedarf und Erfahrung das Wissen über andere agile Methoden vertieft werden. In Scrum ist es außerdem möglich nach und nach weitere Werkzeuge einzusetzen und so den agilen Bildungsansatz zu erweitern. Scrum ist also ein wertvoller erster Schritt, aber nicht der einzige Weg in der agilen Bildung.

Der ständige Terror von Meetings – es gibt zu viele Meetings. 

Die Aussage „Der ständige Terror von Meetings – es gibt zu viele Meetings“ verkennt den wahren Wert und die Funktion von Meetings im agilen Kontext, insbesondere in Scrum. Agile Meetings, wie sie in Scrum vorgesehen sind, sind kein Selbstzweck. Sie sind ein zentraler Bestandteil eines gut funktionierenden Teams und Lernprozesses. Hier lernt man Verantwortung zu übernehmen, zu reflektieren und die gemeinsame Zusammenarbeit zu verbessern.

Bei Scrum gibt es klar strukturierte und zeitlich begrenzte Meetings wie Daily Scrum (oder Standup), das Sprint Planning, die Sprint Review und Retrospektive (in der Schule oft als ein Meeting zusammengefasst am Ende des Sprints). Diese Meetings dienen nicht nur der Koordination, sondern sind auch Lern- und Reflexionsräume. Sie bieten Studierenden und Lehrenden die Möglichkeit, regelmäßig Fortschritte zu überprüfen, Hindernisse zu identifizieren und gemeinsam Lösungen zu finden. Durch diese Feedbackschleifen lernen die Beteiligten kontinuierlich, ihre Arbeitsweise zu verbessern und Verantwortung für den Projekterfolg zu übernehmen.

Das Daily Scrum (oder Standup) beispielsweise ist auf maximal 5 Minuten begrenzt und hilft dem Scrum-Team, fokussiert zu bleiben und Verantwortung für einzelne Aufgaben zu übernehmen. Es ist kein “langes Meeting”, sondern eine kurze tägliche Abstimmung, die Transparenz und Eigenverantwortung fördert.

Darüber hinaus fördert die agile Besprechungsstruktur die Kommunikationsfähigkeit der Beteiligten. Lernende und Lehrende müssen lernen, klar und zielgerichtet zu kommunizieren, um effektiv arbeiten zu können. Diese Fähigkeit ist nicht nur für den Schulalltag, sondern auch für das spätere Berufsleben von entscheidender Bedeutung.

Die Meetings in Scrum unterstützen daher den Lernprozess, anstatt ihn zu belasten. Der Einsatz von agilen Methoden fördert also Verantwortungsbewusstsein als auch eine Kultur der offenen und transparenten Kommunikation, die für erfolgreiches Lernen und Arbeiten unerlässlich ist. Und Transparenz ist übrigens auch ein sehr wichtiger agiler Wert.

Iteration stört den Prozess, die Produktentwicklung.

Iteration (von lateinisch iterare ,wiederholen‘) beschreibt allgemein einen Prozess mehrfachen Wiederholens gleicher oder ähnlicher Handlungen zur Annäherung an eine Lösung oder ein bestimmtes Ziel.“ (Quelle Wikipedia)

Die Kritik, Iteration störe den Prozess bzw. die Produktentwicklung, beruht meines Erachtens nach auf einem Missverständnis der Funktionsweise agiler Methoden, insbesondere von Scrum. Iteration und Sprint – die in Scrum synonym verwendet werden können – sind wesentliche Bestandteile eines flexiblen und lernorientierten Ansatzes. Diese sich wiederholenden Schleifen sind kein Hindernis, sondern fördern kontinuierliche Verbesserung und Lernen.

In der Bildung dient die Iteration dazu, den Lernprozess regelmäßig zu überprüfen und anzupassen. Dies spiegelt die Realität des Lernens wider: Es ist selten ein einmaliger Vorgang, sondern eine wiederholte Auseinandersetzung mit Inhalten und Methoden, die durch Feedback und Reflexion verbessert wird. Gerade durch die wiederholte Überprüfung von Lernwegen und -ergebnissen können Lernende aus Fehlern lernen und ihr Verständnis vertiefen. Der Scrum-Prozess fördert dies gezielt, indem er nach jedem Sprint die Möglichkeit bietet, in einer Retrospektive die Arbeitsweise zu reflektieren und im Sprint Review die Ergebnisse zu diskutieren. Im Schulalltag werden Retrospektive und Review aus Zeitgründen oft zusammengelegt. Richtigerweise werden Fehler nicht als Rückschläge, sondern als Chancen zur weiteren Verbesserung des Lösungsweges gesehen.

Darüber hinaus ermöglicht die Iteration wichtige Lernkompetenzen wie Anpassungsfähigkeit, Selbstreflexion und Teamarbeit zu trainieren und zu erwerben. Die Lernenden lernen, dass es in einem agilen Prozess nicht um Perfektion auf Anhieb geht, sondern um die schrittweise Annäherung an ein Ziel. Diese Schleifen ermöglichen es, Probleme frühzeitig zu erkennen und Anpassungen vorzunehmen, bevor sie sich negativ auf den Gesamtprozess auswirken.

Iteration, also die wiederholte Schleife im Lern- und Produktentwicklungsprozess, ist also kein Störfaktor, sondern ein wertvolles Werkzeug, um den Lernfortschritt zu unterstützen, das geplante Produkt besser zu machen und schlicht aus den erkannten Fehlern zu lernen.

Zum Schluss meine zusammengefasste Gedanken aus der schulischen Praxis und dem Feedback aus meinen Fortbildungen:

Agile Bildung ist heute mehr denn je notwendig, um den Herausforderungen einer sich schnell verändernden Welt gerecht zu werden. Dabei geht es nicht nur um die Einführung neuer Methoden wie Scrum oder Kanban, sondern vor allem um eine tiefgreifende Veränderung des Mindsets – sowohl bei den Lehrenden als auch bei den Lernenden. Agile Bildung fördert Flexibilität, Anpassungsfähigkeit und die Fähigkeit, Lösungen in einem komplexen und dynamischen Umfeld zu entwickeln. Iteration und Reflexion sind dabei zentrale Werkzeuge, um nicht nur den Lernstoff, sondern auch den eigenen Lernprozess kontinuierlich zu verbessern.

Dies bedeutet jedoch nicht, dass lineares Arbeiten oder das klassische Wasserfallmodell überflüssig werden. Im Gegenteil, beide Ansätze haben ihre Berechtigung. So ist das lineare Vorgehen – etwa beim Aufbau eines IKEA-Regals mit einer klaren Schritt-für-Schritt-Anleitung – eine wertvolle Fähigkeit, die ebenfalls trainiert werden sollte. Es gibt viele Situationen im Alltag und im Berufsleben, in denen ein strukturiertes, lineares Vorgehen zielführend ist. Dieses systematische Abarbeiten von Aufgaben vermittelt Klarheit, Sicherheit und methodische Präzision.

Gleichzeitig erfordert es aber auch Fähigkeiten, die mit agilen Methoden und Konzepten wie den 6C (Communication, Collaboration, Creativity, Critical Thinking, Citizenship, Character) beschrieben werden. In einer Welt, in der sich Anforderungen schnell ändern und unvorhersehbare Herausforderungen auftreten, sind kreative Problemlösungsansätze, kritisches Denken und die Fähigkeit zur Zusammenarbeit in Teams von unschätzbarem Wert. Diese Fähigkeiten werden in einem agilen Lernumfeld gezielt gefördert, indem Lernende und Lehrende in regelmäßigen Iterationen neues Wissen erwerben und sich immer wieder an neue Situationen anpassen müssen.

Für Lehrende bedeutet das, dass sie nicht nur Methoden wie Scrum vermitteln, sondern auch selbst offen für Veränderungen sein sollten. Sie sollten bereit sein, ihre Rolle als klassische Wissensvermittler zu überdenken. In der agilen Bildung sind sie eher Begleiter und Trainer, die den Lernenden dabei helfen, selbstständig Verantwortung für ihren Lernprozess zu übernehmen.

Wir brauchen also zwei Ansätze: einen linearen, schrittweisen und einen agilen, iterativen. Agile Bildung ist besonders wichtig, um auf die komplexe und vernetzte Welt vorzubereiten. Die Lehrenden spielen dabei eine zentrale Rolle. Sie sollten ein Umfeld schaffen, das beides vereint und den Lernenden hilft, auf die unterschiedlichen Anforderungen der Zukunft vorbereitet zu sein.

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