Ist Scrum im Unterricht überfordernd?

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Alles, was einem beigebracht wird, hat den Nachteil, dass man nicht mehr selbst drauf kommen kann.

Jean Piaget

Es berichten mir immer wieder Lehrer:innen, dass sie in einem offenen Lernsetting beobachten können, dass die Lernenden kleine bis große Schwierigkeiten haben sich in die Arbeit zu stürzen und engagiert zu beginnen das Lernziel zu verfolgen. Das gilt natürlich auch für Scrum, da dieses framework ein sehr offenes Setting beinhaltet. Im Sprint Planning und in den Sprints arbeiten die Scrumteams nach ihrem Gusto. In Scrum haben wir die Möglichkeit so viel Vorgabe und Orientierung zu geben, wie nötig und so viel Frauraum zu gewähren, wie möglich. Doch passiert es immer wieder, dass Schüler:innen es schwer haben bis hin zum (nicht konstruktiven) Scheitern an einer Aufgabe.

Kritiker:innen führen die Cognitive Load Theory an, die die Frage des Zusammenhangs von instruktionaler Gestaltung des Lernangebotes und der Gestaltung von Merkmalen der menschlichen kognitiven Architektur in den Mittelpunkt stellt. „Sie nimmt als Prämissen an, dass Lernen mit kognitiver Belastung verbunden ist, und dass es umso besser funktioniert, je niedriger die kognitive Belastung ist. (Stangl, 2023).“ Nun könnte man sagen, dass das eher umfangreiche Rahmenwerk von Scrum eine zumindest anspruchsvolle kognitive Leitung darstellen kann. Die Ko-Konstruktionsphasen im Sprint Planning und in den Sprints sind es auf jeden Fall.

Stangl führt in seiner Erklärung der Theorie aus, dass es „die überflüssigen Belastungen sind, – extraneous loads (extrinsische Belastung) – die vom gewünschten Lernen ablenken. Diese treten etwa dann auf, wenn man zu viel Energie auf die Informationssuche in einem Lernangebot verschwenden muss.“. Diese Argumente könnten gegen offene Lernsettings sprechen.

Ich möchte im Gegensatz zu dieser Theorie die Theorie des Purpose Driven Learning ins Spiel bringen. Übersetzt bedeutet es zielgerichtetes Lernen. Die Theorie des Purpose Driven Learning bezieht sich auf einen Lernansatz, bei dem das Lernen auf einen bestimmten Zweck oder ein bestimmtes Ziel ausgerichtet ist. Das Ziel kann dabei entweder von dem Lernenden selbst oder von einer anderen Person oder Organisation vorgegeben werden. In Scrum geben wir Lehrkräfte als stakeholder das Lernprodukt/das Lernziel vor.

Im Purpose Driven Learning geht es darum, dass der Lernende eine klare Vorstellung davon hat, was er lernen will und warum er es lernen will. Durch diese Ausrichtung auf einen bestimmten Zweck oder Ziel wird das Lernen motivierender und effektiver, da der Lernende eine stärkere Verbindung zu dem Lernstoff aufbaut und sich stärker engagiert.

Diese klare Vorstellung erreichen wir in Scrum einerseits in der Instruktionsphase. In der Instruktionsphase erläutert die Lehrkraft das framework im Allgemeinen, die dahinter stehenden Werte und zu guter Letzt ausführlich das Product backlog.

Andererseits erreichen wir Engagement durch echtes Interesse durch eine lebensweltnahe Aufgabenstellung und Lernziele, die auf die Bedürfnisse und Ziele der Lernenden ausgerichtet sind. Solche Aufgabenstellungen sind förderlich für die intrinsische Motivation der Lernenden.

Ko-Konstruktive Aufgabenstellungen sind herausfordernd für Lernende und Lehrende. Richtig. Daraus folgert, dass wir bei der Planung eines Scrum bei der Herstellung unserer Product Backlog die lebensweltnahe Aufgabenstellung unserer Zielgruppe entsprechend definieren müssen. Die mögliche kognitive Überlastung muss bei der Planung des Lernziels bedacht werden und wir sind aufgefordert während des Lernprozesses die notwendigen Unterstützungen (kognitive Entlastungen) geben zu können. Schlicht müssen wir Lehrkräfte in der Lage sein in diesem Ko-konstruktiven Prozess agil reagieren und arbeiten zu können. Der gesamte Prozess (Instruktion, Ko-Konstruktion, Retrospektive (Feedback) und die authentische Schülerleistung) muss von uns so geplant und durchgeführt werden, dass er unseren Schüler:innen umfänglich gerecht wird und möglichst passgenau gestaltet ist.

Die Aufgabe der Lehrkräfte vor und in einem Scrum-Prozess in der Bildung ist also sehr konkret:

👉 zielgruppenadäquate Formulierung der Aufgabenstellung und des Lernprodukts im Product Backlog unter Beachtung der beiden Theorien
👉 die Bereitschaft und Fähigkeit in der Ko-Konstruktion agil zu handeln und die Lernenden auf ihrer Lernreise mit Tatkraft zu unterstützen
👉 das KISS-Prinzip (Keep it simple and stupid) in Vorbereitung und Durchführung konsequent umzusetzen

„Vielleicht geht es Ihnen ähnlich: Es sind nicht die Inhalte, die Prüfungen oder die Noten, an die ich mich erinnere und die ich aus meiner Schulzeit schätze, sondern es sind die Lebenskompetenzen, die “soft skills” (..). Es besteht kein Zweifel, dass meine formale Bildung dazu beigetragen hat, mich zu der Person zu formen, die ich heute bin – aber es waren die sozial-emotionalen Lernfähigkeiten, die einen transformativen und nachhaltigen Einfluss hatten.“

(Übersetzt mit Deepl von der Webseite http://www.mrmoreno.com/blog/purpose-driven-learning, 05.03.2023).

2 Kommentare

  1. Ich sehe als Problem an, dass Lehrer:innen zu viel erwarten. Die Kognitive Belastung, das Framework betreffend ist anfangs hoch, baut sich aber ab, je öfters man es macht.
    In Gesprächen stelle ich immer wieder fest, dass Lehrer:innen teilweise sehr schnell frustriert sind und aufgeben bevor etwas Neues wirklich greifen kann. Es bräuchte hier mehr Ausdauer.
    Wir können nicht auf Anhieb erwarten, dass so ein komplexes Framework auf Anhieb funktioniert. Wir müssen geduldiger sein und agil auf fehlendes Vorwissen reagieren. So werden Abläufe, Methoden usw. sukzessive besser.

    Eine Retrospektive am Ende ist selbstverständlich, meines Erachtens bräuchte es diese aber, zumindest anfangs, nach jedem Arbeitstag an dem mit Scrum gearbeitet wird.

    1. Vielen Dank! Du hast recht damit, dass die Einführung Ausdauer verlangt. Und auch mit der Retrospektive hast du recht, ich baue immer Teile in die Review ein. Die Metaebene ist immer, aber auch insbesondere zu Beginn, sehr wichtig für das Vorankommen und den Erfolg.

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