Ausgehend von den Äußerungen von Friedrich Merz am Dienstagabend bei Lanz (im Tweet hat er die Bezeichnung der “kleinen Paschas”, die er in der Sendung getätigt hat, weggelassen):
führte ich ein Schreibgespräch mit einem Fachlehrer darüber, wie man diese Aussagen bewerten kann, ob sie der Wahrheit entspricht und wie wir die verwandten Themen aus unserer Sicht bewerten.
Tom: Das es im schulischen Kontext Herausforderungen mit Kindern und Eltern gibt, das lässt sich nicht von der Hand weisen. Ich arbeite selbst in der Bildung und komme viel rum. Auch oder insbesondere nach Corona erleben viele das herausfordernde Verhalten von Kindern und Jugendlichen und ggf deren Eltern als sehr auffällig oder mehr als vor der Pandemie. Die Verknüpfung mit Migrationshintergrund ist aber, ebenso wie bei den Silvesterereignissen, so im Zusammenhang nicht richtig und tendenziös rassistisch.
Alex: Die Verbindung mit Migrationshintergrund ist auf Grund der “Gewaltlegitimierenden Männlichkeitsnorm” (Ehre und Männlichkeit) besonders in arabischen Kulturkreisen unumgänglich, da das Problem sonst nicht angegangen werden kann. Ich erkenne hier absolut keinen Rassismus. Wir müssen die Probleme klar und sachlich benennen (können).
Tom: Ich finde es bezeichnend, dass nun wieder die Schulen, die seit vielen Jahren unter Mangel leiden, seien das Ressourcen oder schlicht Lehrer:innen, von den notwendigen Sanierungen und zusätzlicher Schulsozialarbeit will ich gar nicht reden, dafür herhalten müssen die Schuld bei Anderen zu suchen. Ich möchte lieber von toxischer Männlichkeit sprechen, die aber durchaus nicht Jungen und Männern einer bestimmten Ethnie oder Gesellschaftsgruppe zugeordnet werden kann. Ich gebe dir recht, das Probleme benannt werden sollen und müssen. Wir haben in der Schule klare Regeln und viele Möglichkeiten auf Fehlverhalten zu reagieren. Und nein, Fehlverhalten in der Schule betrifft alle Herkünfte und ist größtenteils männlich. Warum sollte es in meiner Reaktion (oder der Schule oder der Gesellschaft) einen Unterschied machen, ob der Täter arabischstämmig ist oder deutsch? Es sind alles unsere Kinder, sagte auch der Soziologe Aladin El-Mafaalani (Link führt zu einem Talk mit ihm) vom Institut für Erziehungswissenschaft der Universität Osnabrück in der Sendung.
Alex: Ich sehe hier nicht den Auftrag an die Schulen, Schuldige zu suchen. Das ist Aufgabe der Justiz. Vielmehr geht es darum, Ursachen zu erkennen und klar zu benennen um anschließend entsprechende Konsequenzen ziehen zu können. Solange wir nicht anerkennen, dass wir sie sehr wohl einer bestimmten Ethnie und Gesellschaftsgruppe überrepresentativ zuordnen können, werden wir das Problem nicht lösen. Sobald wir diese Menschen bei uns aufgenommen haben sind es selbstverständlich unsere Kinder (Jugendliche). Deshalb gilt in erster Linie genau zu schauen, wer da kommt. Das ist eine Grundsäule eines modernen Einwanderungslandes. Unkontrollierte Migration oder gar illegale Migration darf es nicht geben. Sonst macht sich der Staat gegenüber seinen Bürgern unglaubwürdig.Dazu gehört dann auch, dass das Bleiberecht an Bedingungen geknüpft sein muss, welche bei Nichteinhaltung Konsequenzen nach sich ziehen. Hierzu benötigen wir in Bezug auf die Sylvesterereignisse Schnellverfahren, um die Täter sofort zu belangen. Bei wiederholter Straftat ist eine Ausweisung zu prüfen. Entsprechende Verträge mit den Herkunftsländern sind bereits geschlossen oder müssen angepasst werde. Ein modernes Einwanderungsland entscheidet nicht nur wer kommt, sondern auch, wer nicht bleiben darf und wieder gehen muss. Es fordert auch eine Bekennung zu seinen Grundwerten, um Parallelgesellschaften zu verhindern und um eine klare rote Linie aufzuzeigen. Am Ende dieses Prozesses steht dann die Einbürgerung ohne doppelte Staatsbürgerschaft. Unser Problem ist, dass wir wenig fordern, schlecht kontrollieren und kaum Konsequenzen ziehen. Hier muss sich einiges ändern.
Tom: Ich finde es gut, dass du das framing von Merz nicht aufgenommen hast. Bleibrecht ist an Bedingungen geknüpft. Die Bundesregierung hat ja bereits klargestellt: “Straftäter und Gefährder bleiben vom Chancen-Aufenthaltsrecht grundsätzlich ausgeschlossen. Für diese Personengruppe wird die Ausweisung und die Anordnung von Abschiebungshaft erleichtert. Auch Personen, die ihre Abschiebung aufgrund von wiederholten, vorsätzlichen Falschangaben oder aktiver Identitätstäuschung weiter verhindern, wird die Aufenthaltserlaubnis versagt und eine konsequente und zügige Rückführung durchgesetzt.” (Quelle)
Es geht mir in unserer Diskussion aber noch zu wenig um Integration. Wir müssen die für uns geltenden Regeln einfordern, das ist richtig und auch und insbesondere in der Schule unsere Aufgabe, richtig. Aber: wir sind eine plurale und kulturell vielfältige Gesellschaft und das bedarf Anstrengungen und Mühen. Es ist nicht hilfreich und spielt den Ewiggestrigen in die Hände, wenn rassistische Ressentiments bedient werden. Die Schule hat die große Herausforderung die Kinder zu erziehen. Siehe: “Die Schule hat den in der Landesverfassung verankerten Erziehungs- und Bildungsauftrag zu verwirklichen. Über die Vermittlung von Wissen, Fähigkeiten und Fertigkeiten hinaus ist die Schule insbesondere gehalten, die Schüler (..) zur Anerkennung der Wert- und Ordnungsvorstellungen der freiheitlich-demokratischen Grundordnung zu erziehen, die im einzelnen eine Auseinandersetzung mit ihnen nicht ausschließt, wobei jedoch die freiheitlich-demokratische Grundordnung, wie in Grundgesetz und Landesverfassung verankert, nicht in Frage gestellt werden darf.” (Quelle). Und da ist noch viel Platz nach oben. Dafür braucht es aber das Personal, mehr finanzielle Mittel und vor Allem: Zeit und Raum. Was genau sollte sich deiner Meinung nach ändern?
Alex: Erstens: Das Fach Religion durch Ethik für alle ersetzen. Zweitens: Gemeinsames lernen bis Klasse 6, danach Verteilung auf 3- Gliedriges Schulsystem. HS, RS, Gym. Drittens: Co- Klassenlehrer implementieren (spätestens ab Klasse 5) Viertens: Ausweitung der Schulsozialarbeit nach skandinavischem Prinzip. Fünftens: Und das meine ich genau so wie ich es schreibe: Aufhören, unsere Schulbücher durch Namensänderungen, Gendern etc. (aus Tim wird Murat usw.) so zu verändern, dass am Ende ein Gesellschaftsbild künstlich impliziert wird.Unsere Gesamtgesellschaft ist in der Lage zu reflektieren. Lapidar gesagt: Die Schule muss vermitteln, dass “deutsch” sein weder uncool noch spießig oder sonstetwas ist. Und niemand leugnet seine Wurzeln, nur weil er jetzt “deutscher” ist. Beispiel: Auch die Vereine sind hier in der Pflicht. Es braucht keinen türkischen oder italienischen Fußball -Verein in Deutschland. Es muss auch vor einer Moschee keine türkische Fahne wehen (selbst dann nicht, wenn sie von DITIB finanziert ist). Da sind wir meiner Meinung nach viel zu tolerant und Rücksichtsvoll. Das sehen übrigens sehr viele Menschen mit Migrationshintergrund (welche bestens integriert sind) in meinem Umfeld noch sehr viel strenger als ich.
Tom: Wie funktioniert Schulsozialarbeit nach skandinavischem Prinzip? Du ahnst es, 1-4 bin ich ganz bei dir. Zu deiner 5: Die Bildung muss die gesellschaftliche Realität abbilden. Im verpflichtenden Leitfaden Demokratiebildung des Landes steht: “Ein konstruktiver Umgang mit Diversität, Meinungs-, Interessen- und Wertepluralismus erfolgt auf Basis gemeinsamer demokratischer Werte und demokratischer Verfahrensregeln. Dieser Konsens ist von außerordentlicher Bedeutung für den gesellschaftlichen Zusammenhalt und ein friedliches Miteinander. Für Baden-Württemberg ist dieser Zusammenhang auch deshalb essenziell, weil es das Flächenland mit dem höchsten Anteil von Migrantinnen und Migranten in Deutschland ist.” (Quelle)
Ich sehe für mich: Wir sind Weltbürger:innen, Europäer:innen und ja, auch Deutsche. Aber zuallererst einmal Mensch und daraus folgert für mich keine Erhöhung gegenüber Anderen. Wie gesagt, Regeln haben wir. Klar muss in einer Demokratie immer sein: Intolerante dürfen nicht auf Toleranz hoffen.
💡 Infos zum finnischen Schulsystem
Alex: An skandinavischen Schulen gilt einfach ein besser Betreuungsschlüssel für die Schulsozialarbeit. Zudem sind Schulpsychologen und das Jugendamt vor Ort bzw. in die Schule integriert. Ich lege den Leitfaden im Bezug auf den konstruktiven Umgang eben etwas anders aus. Selbstverständlich auf Basis gemeinsamer demokratischer Werte. Auch erhöhe ich mich nicht über andere.
Aber ich stelle fest: Man verteilt bei uns sehr schnell die Rolle des Bösen und des Opfers. Das ist billige Polemik. Wir wollen ja beide, dass Integration gelingt. Der linksliberale Weg hat nicht funktioniert. Versuchen wir doch mal den konservativen?
Tom: Die Rolle der Opfer und der Bösen werden schnell verteilt, da hast du recht. Du meinst es nur anders als ich. Wir alle reden mehr übereinander als miteinander, das gilt im Übrigen auch für die Migrations- und Integrationspolitik. Wir müssen die Schulen umfassend stärken, bestehende Gesetze anwenden und im gesellschaftlichen Diskurs wieder zur Sachlichkeit zurückfinden. Dann können wir herausfordernde Situationen und Ereignisse besser und richtig einordnen und gemeinsam angehen.
Alex: Ach Tom, wenn doch nur alle so aufopfernd aber respektvoll diskutieren könnten wie wir. Nur der Diskurs und das gegenseitige zuhören ermöglichen Gestaltung, Entwicklung und Veränderung. Danke für das Schreibgespräch.