Wehe, wenn sie losgelassen? Blogparade Partizipation

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Ich nehme Bezug auf den blogbeitrag von Dejan, ausgehend von einer Diskussion auf twitter zu diesem “Ich entscheide” von Jan Martin Klinge.
Ich kenne die Diskussion um Partizipation in der Schule so:
“Wieso sollen die Schüler*innen denn das mitentscheiden?”
“Muss das sein?”
“Das führt doch zu nichts.”
Diese ablehnende Haltung, die oft anzutreffen ist, wird regiert von einer tief sitzenden Angst aller am Schulleben Beteiligten. Und zwar die Angst vor dem Verlust der Kontrolle (das ist als Lehrer*in besonders wichtig) oder zumindest das in Fragestellen lassen (müssen) der eigenen (Lehr-)Tätigkeit. Doch schreiben wir uns alle irgendwie auf die Fahnen die Schüler*innen zu demokratiefähigen und mündigen Bürger*innen zu erziehen.
Wir müssen davon ausgehen, dass Kinder nicht als Demokraten geboren werden, sondern im Lauf ihre Kindheit und Jugend das Rüstzeug für demokratische Überzeugungen erhalten. Und hier kommt die Schule ins Spiel und trägt eine große Verantwortung. Dejan bezieht sich in seinem Text auf die SMV – diese ist in Baden-Württemberg eine schulrechtlich verankerte Institution. Die SMV wird über die Schulkonferenz auch direkt an relevanten schulischen Entscheidungen beteiligt. Und es gibt den Klassenrat und dieser ist meiner Meinung nach noch wichtiger für die Ausbildung von Demokratiefähigkeit. Der Klassenrat ist eine wahrhaft wirksame Möglichkeit, sofern er richtig gemacht wird, Schüler*innen die Möglichkeit zu geben Debatte, Dissens, Diskussion, Meinung – und Informationsaustausch kennen zu lernen und zu üben. Somit kann auch hier schon jede Schülerin und jeder Schüler lernen, dass sie selbst eine Stimme haben. Die Befähigung zur Beteiligung kann aber auch in diversen Unterrichtssituationen gelernt und eingeübt werden. So diskutiere ich gerne tagesaktuelle Politik oder habe im letzten Schuljahr im Fach Ethik nahezu ausschließlich philosophische Fragen gemeinsam mit den Schüler*innen überlegt und diskutiert. Die Schüler*innen zeigten, dass sie ein hohes Interesse daran haben, ihre Meinung auszubilden, ihre Meinung anderen mitzuteilen und zu diskutieren und sich selbst einzubringen.
Nun möchte ich im kommenden Schuljahr die SMV dazu anleiten sich eines Themas anzunehmen, welches die Schülerschaft seit beinahe drei Jahren beschäftigt. Es gibt an unserer Schule ein Verbot eine Mütze im Schulgebäude zu tragen. Grundlage der Überlegungen der Schülerschaft ist, dass die Schüler*innen den Sinn und Zweck eines Verbotes von (Schirm-)Mützen auf dem Gang und in der Pause nicht nachvollziehen können. Die Abnahme von Kopfbedeckungen im Unterricht können alle Schüler*innen nachvollziehen (bis auf ganz wenige -> business as usual). Die meisten Kolleg*innen, die sich in der Aufsicht dahingehend engagieren, dass sie Schüler*innen mit Kopfbedeckung auf die Schulordnung hinweisen, berichten immer wieder davon, dass es ihnen fürchterlich auf den Wecker geht und sie diese Regelung für ausschließlich konfliktschaffend halten. Wie gemacht also für einen erfahrbaren Prozess in der Partizipation. Manche mögen sagen eine Kleinigkeit. Es ist fürwahr eine Chance, ein gutes Beispiel und ein hervorragendes Lernfeld für wirksame Partizipation in der Schule. So wäre der normale Weg eine Diskussion in der SMV, dann Diskussionen in den Klassenräten und dann das Gespräch mit dem Rektor mit der Schülersprecherin oder dem Schülersprecher. Und diese berichten dann wieder davon in einer SMV-Sitzung. Zu guter Letzt folgt unter Umständen die Diskussion und Abstimmung zu einer Änderung der Schulordnung in der Schulkonferenz, zu welcher die SMV einen schriftlichen Vorschlag eingebracht hat und vielleicht mit den Eltern und einem Lehrer die Abstimmung für sich entscheiden könnte. Prima.
Grundlegend möchte ich sagen, dass die Absicht Schüler*innen zu befähigen am demokratischen Diskurs teilzunehmen auch unabdingbar voraussetzt, dass sie am demokratischen Diskurs teilnehmen können. Demokratie darf nicht nur simuliert werden, sondern sie muss spür- und erfahrbar sein für die Schüler*innen. Nur über tatsächliche Teilhabe kann gelingen, dass Schülerinnen und Schüler einen demokratischen Willen ausbilden. Dies kann unter anderem, neben dem Klassenrat und der SMV, erlernt werden durch regelmäßige Schulvollversammlungen, in denen sich Schüler*innen zu aktuellen Themen das Schulleben betreffend äußern sollen und können (Siehe auch Praxisbuch Demokratiepädagogik).
Somit wird der Unterricht mehr und mehr zum Feld von Aushandlungsprozessen. Es geht grundlegend um das Entwickeln einer Diskussionskultur, die Raum im Unterricht bekommt und in der gesamten Schule. Das setzt m.E. nach zwingend ein radikal neues Unterrichts-, Schul- und Bildungsverständnis der Lehrenden (und Eltern, Schüler*innen und politische Entscheidungsträger*innen) voraus.
Natürlich muss die gesamte Partizipation entwicklungsangemessen, altersadäquat und lebensweltspezifisch durchgeführt werden. Die Zielgruppenorientierung ist immens wichtig, da ansonsten entweder eine Unter– oder Überforderungssituation künstlich hergestellt wird. Eine gelungene Simulation, die im praktischen Erleben der Schüler*innen gar keine ist, war das Projekt “Schulstadt“. Ich führte als Projektverantwortlicher an unsere Werkrealschule eine simulierte Kommune durch, die eine Woche lang lief. Der Stadtrat, besetzt durch Schüler*innen, die zuvor gewählt worden waren und einen zuvor gewählten Bürgermeister, konnte nahezu über die gesamte “Stadtverfassung” abstimmen und sie gestalten. Die Methode “Schule als Staat” ist gymnasialen Bereich gut bekannt, ich habe im Zuge der Vorbereitung sehr wenig bis gar kein Material über die politische Bildung mithilfe dieser Methode im Bereich der Haupt- und Werkrealschule gefunden. Somit betraten wir Neuland, dass derart gewinnbringend war, dass ich es in diesem Schuljahr wiederholen möchte. Die Diskussionen, die im Rahmen der Schulstadt stattfanden, wie Schüler*innen Entscheidungsprozesse nachvollzogen und sich beteiligten war wirklich nachhaltig und beeindruckend.
Wenn wir die UN-Kinderrechtskonvention und die Kinderrechte ernst nehmen müssen wir in der Schule, insbesondere im Unterricht, mehr wirkliche Partizipationsmöglichkeiten schaffen, diese engagiert angehen und vor allem auch die Ergebnisse akzeptieren, aushalten und umsetzen. Die Sorge der Lehrerinnen und Lehrer darf nicht der Hemmschuh der demokratischen Ausbildung unsere Schülerinnen und Schüler (unsere Zukunft) sein. Insbesondere mit unserer derzeitigen Jugendgeneration, die nicht mehr das Ziel haben kann, dass ihre Kinder es mal gut haben werden, müssen wir uns anstrengen. Diese Generation hat alles, sie muss sich um nichts sorgen. Daher kommt (natürlich unter anderem) das nicht vorhandene Interesse an Politik. Vielmehr werden Sätze der (bildungsfernen) Erwachsenen wiederholt, die von denen da oben sprechen, die sich nur die Taschen füllen und keine Ahnung haben. Die da oben wählen wir oder könnten in ein paar Jahren durch eben diese Jugendlichen ersetzt werden. Partizipation in der Schule schafft die ersten Ansätze Demokratie nachzuvollziehen und legt somit einen sehr wichtigen Grundstein – auch für meine Zukunft (und eure) im Alter. Die Kinder und Jugendlichen brauchen zur Orientierung Leitplanken, nicht weniger, aber vor allem auch nicht mehr. Geben wir ihnen Raum um zu Demokrat*innen heranzuwachsen.

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