Anlass
Nach mehreren Twitter-Diskussionen mit Dejan Mihajlović und Karl Berstein über die Lehrerrolle, -ausbildung und -arbeitsbedingungen haben wir beschlossen über dieses stets aktuelle Thema zu bloggen und möglichst viele Beiträge zu sammeln, um diesbezüglich ein breites Meinungsbild zu erhalten. Daher hoffen wir, dass sich viele Kolleginnen und Kollegen der Blogparade anschließen und die drei folgenden Fragen beantworten:
1.) Was sollte ein guter Lehrer morgen leisten können?
2.) Wie müsste man dafür die Lehrerausbildung ändern?
3.) Wie müsste man dafür die Schule/Arbeitsbedingungen ändern?
Diese Blogparade hat keine zeitliche Begrenzung. Bitte informiert Karl, Dejan oder mich, wenn ihr einen Blogbeitrag erstellt habt. Vielen Dank im Voraus.
Aus Gründen der besseren Lesbarkeit wird im Text (fast) nur die männliche Form verwendet. Gemeint ist stets sowohl die weibliche als auch die männliche Form.
Ein kleiner, zuweilen polemischer, Einwurf zu diesen Fragen:
Zu meiner Zeit als Streetworker, immerhin ein Jahrzehnt, habe ich die Erfahrung machen können, dass viele PädagogInnen eigentlich falsch waren an ihrer Arbeitsstelle. Eine Arbeitsstelle, die Beziehungsarbeit zum Inhalt hatte. Weil man davon ausgeht, dass eine gelungene Beziehung die Grundlage ist für alles Weitere. Weil alles Weitere sonst nicht “fruchtet”. Nach dem Jahrzehnt sehr aktiver Beziehungsarbeit bin ich nun Fachlehrer und muss feststellen, dass genau das gleiche gilt. Beziehung vor Inhalt – zumindest mit meinen SchülerInnen der Werkrealschule und aktuell in einer Maßnahme für SchülerInnen mit Unterrichtsausschluss. Viele KollegInnen in der schulischen Arbeit haben mit professioneller Beziehungsarbeit (keine Kumpelei) nichts am Hut. Der Schüler soll funktionieren, sich ein- und unterordnen. Ich bin sehr gespannt, wie auf dieser Basis aus diesen Lehrern “Lernbegleiter” werden sollen. Durch meine Arbeit als SMV-Fachberater treffe ich immer wieder auf sehr engagierte SchulsprecherInnen und auch auf sehr kompetente KollegInnen VerbindungslehrerInnen. Diese zeichnet zum Großteil ein anderes Verständnis der Lehrer-Schüler-Beziehung aus, wie dies die gerade beschriebenen KollegInnen tun. Die VerbindungslehrerInnen verstehen unter dem Schüler ein mündiges Wesen, einen jungen Menschen, der in seiner Demokratiefähigkeit unterstützt werden muss und dem jede mögliche Form der Unterstützung zuteil werden sollte, die er benötigt um zu partizipieren und vor Allem: zu widersprechen. Ja! Genau, widersprechen. Und eben diesen Widerspruch, durch den so Vieles gelernt werden kann, der ist möglich im Rahmen einer professionellen Beziehung. Er ist nur sehr begrenzt möglich in einer strikt hierarchischen und erzwungenen Lehrer-Schüler-Beziehung. Er ist möglich in einer gewachsenen und respektvollen Beziehung, die sich auch durch natürliche Autorität der Lehrperson auszeichnet. Eine Lehrperson, die kongruent ist, die stimmig ist, die als role model dient.
Die pädagogischen Kompetenzen, die eine Lehrkraft in der täglichen pädagogischen Arbeit mit einer Klasse braucht, werden nicht angeboren. Sicher gibt es Charakterzüge und persönliche Eigenschaften, die gute pädagogische Arbeit begünstigen und unterstützen. Ich bin der Meinung, dass diese nur durch fundierte Ausbildung und dann vor Allem durch Praxis erworben werden können. Ich habe mich schon immer gefragt, warum es anscheinend in den sozialen Berufen – ich zähle das Lehramt dazu – anscheinend Jeder, wenn auch unbegabt oder gar unfähig, die Ausbildung oder das Studium beenden kann. Egal ob an der Fachschule für Sozialpädagogik, der Ausbildung zum Fachwirt für Sozialwesen oder am Seminar in Kirchheim: überall das gleiche Bild. Erkennbar ungeeignete Kommilitonen laufen mit und laufen durch.
Der Großteil der KollegInnen an den Schulen arbeitet sicherlich pädagogisch gut, ist aber doch weit davon entfernt, die Pädagogik, die Beziehungsarbeit, professionell zu betrachten. Die persönliche Arbeit mit dem Heranwachsenden neben dem zu vermittelnden Lernstoff ist eventuell nur ein Beibrot. Dabei ist dies die Hefe, das Treibmittel für das Brot, für das Leben des jungen Menschen. Die stattfindenden Interaktion im Rahmen einer professionellen Beziehung ermöglichen es dem Schüler aus der passiven Rolle als Empfänger zu wechseln in eine aktive Rolle, in der er aus eigenem Antrieb heraus sich Inhalte aneignet. Dies setzt voraus, dass die Lehrkraft dem Schüler (bestimmte) Freiheit und Unabhängigkeit ermöglicht (und auch akzeptiert – sich sogar darüber freut): professionelle Pädagogik.
Mathematiklehrer sollen zu Recht studierte Mathematiker sein, die über eine hohe Fachkompetenz verfügen. Wie steht es denn um die Pädagogen, die die LehrerInnen ja auch sind oder zumindest sein sollen? Wie wird Fachkompetenz gewichtet mit oder gegen professionelle Beziehungsarbeit?
Der Kultusminister Baden-Württembergs hat vor einiger Zeit einmal ein Praktikum in der freien Wirtschaft für LehrerInnen laut angedacht. Ziel war es den studierten LehrerInnen, die während der Karriere Abitur – Studium – Lehrersein nur bedingt etwas vom Leben außerhalb von Schulmauern erleben konnten, Einblick in betriebliche Prozesse im Mittelstand und Handwerk zu ermöglichen. Ein Aufschrei. War zu erwarten. Es ist aber völlig richtig! Die Kollegin, die Berufsorientierung macht, aber selbst noch nie Schicht gearbeitet hat – kann sie die Richtige für den Job sein?
Dieses Schuljahr durfte ich in einem Projekt arbeiten, dass sich ausschließlich an SchülerInnen mit Unterrichts- oder Schulauschluss richtet. Dort wird in einer kleinen Klasse im Team mit Sozialpädagoginnen dem einzelnen Schüler ein sehr individuelles Coaching offeriert. Ich habe das gesamte Jahr lang genau die Meinungen und Einschäzungen bestätigt bekommen, die ich bis jetzt dargelegt habe. Wie Hattie formulierte: “the teacher matters.”. Wie die Lehrkraft lebt, sich verhält, wirkt und vor Allem wie sie Beziehung gestaltet. Und auch wie sie die zarte Pflanze Demokratiefähigkeit in den SchülerInnen hegt und pflegt um dann eines Tages Widerspruch zu erhalten.
Nochmal zum Anfang zurück. Die KollegInnen in der Sozialarbeit, die keine Lust mehr auf die direkte Arbeit mit den KlientInnen hatten (und es auch nicht mehr konnten – Arbeitszeit am Wochenende, Tinnitus, Angstzustände..), die konnten in den “Innendienst”.. Das heißt sie brachten ihre erworbenen Kompetenzen in den Sozialraum ein. Sie arbeiten dann als Mitarbeiter des sozialen Dienst in einem Stadtviertel, beraten Familien, führen unter Anderem Freizeiten durch. Was ist mit den KollegInnen im Schuldienst, die nicht mehr wollen/können? Oder denen, die das noch nie konnten?
Tom
Blogparaden-Beiträge:
https://mihajlovicfreiburg.wordpress.com/2015/07/13/blogparade-lehrer-von-morgen-heute-denken/
https://herrberstein.wordpress.com/2015/07/13/blogparade-die-lehrerinnen-ausbildung-eine-kleine-und-schmerzhafte-abrechnung/
https://paukerblog.wordpress.com/2015/07/22/blogparade-lehrer-von-morgen-heute-denken/
Blogparade: Lehrer von morgen heute denken – Professionalisierung der Beziehungsarbeit zwischen LehrerInnen und SchülerInnen
Lesedauer ca. 4 Minuten
>Die pädagogischen Kompetenzen, die eine Lehrkraft in der täglichen pädagogischen Arbeit mit einer Klasse braucht, werden nicht angeboren.
Angeboren nicht. Aber mit siebzehn, achtzehn oder noch mehr Jahren, wenn man sich frühestens entschieden hat, es mit dem Lehrersein zu versuchen, hat man gewisse Kompetenzen und Charakterzüge bereits ausgebildet, ob angeboren oder nicht.
— Wie kann Folgendes dann geschehen:
>Erkennbar ungeeignete Kommilitonen laufen mit und laufen durch.
“Ungeeignet” kann es eigentlich nicht geben, wenn man das lernen kann – muss man also nur die Lehre verbessern, das Beziehungsverhalten professionalisieren, und jeder kann ein guter Lehrer werden?
Ich sehe mich übrigens keinesfalls als Lernbgeleiter, aber das wird wieder darauf herauslaufen, dass unter dem Begriff jeder verstehen darf, was er will. Ich biete Gelegenheit, zu widersprechen. Wer will einem Lernbegleiter schon widersprechen?
Ganz einer Meinung bin ich mit dir, wenn du die Beziehungsrolle betonst. Ich kenne aber auch einzelne Lehrer, die toll Beziehungsarbeit machen, bei denen die Schüler aber nichts Produktives lernen, weder fachlich noch menschlich.
Vielen Dank für deinen Kommentar, Herr Rau. Du hast recht. Gewisse Kompetenzen, aber vor Allem Charakterzüge, hat man am Ende der Jugend schon ausgebildet. Diese können nützlich oder hinderlich sein. Das ist mal der persönliche Rucksack, den alle in ihre Jobs mitbringen. Zum Beispiel ein ausgleichender Charakter zu sein oder immer das letzte Wort haben zu müssen. Aber auch ein prall gefüllter Rucksack kann nicht ausreichen, um ein professioneller Lehrer zu sein. Ich sehe das vermutlich ziemlich eng (so sagen zumindest manche), aber eine Charaktereigenschaft wie Ungeduld kann eine Person durchaus in Summe mit Anderem ungeeignet für den Lehrerberuf erscheinen lassen.
Die von mir beschriebenen Kommilitonen waren viel mehr an sich und ihrem persönlichen Vorteil interessiert, zu sehr noch mit sich selbst beschäftigt und noch gar nicht mit sich selbst im Reinen. Sie waren meiner Meinung nach zu wenig idealistisch und zu wenig lebenserfahren. Und eine fachlich reflektierte Beziehungsarbeit setzt persönliche Reflexion voraus. Und dafür braucht es eine Persönlichkeit.
Lernen kann man viel, es wird aber immer welche geben, bei denen das nicht ausreicht. Diese machen dann mehr kaputt als richtig. Jemandem mit zwei linken Händen wird keiner einen Ausbildungsplatz zum Feinmechaniker geben oder ihn bei eklatanten Mängeln in der Arbeit behalten. Und so lange die pädagogische Arbeit, die professionelle Beziehungsarbeit, an den Unis und Seminaren ein Schattendasein fristet, so lange werden die pädagogischen „Linke-Hände-Haber“ auch unterrichten.
Du schreibst: „Ich kenne aber auch einzelne Lehrer, die toll Beziehungsarbeit machen, bei denen die Schüler aber nichts Produktives lernen, weder fachlich noch menschlich.“
Eine wirklich professionelle Beziehungsarbeit fördert meiner Meinung nach die menschliche Entwicklung des Schülers. Sie bietet Platz für Reibung, Konflikt und Diskurs. Und hier teile ich deine Meinung, dass die Bezeichnung Lernbegleiter mal rein gar nichts aussagt. Sie ist meines Erachtens nach schrecklich und assoziiert eine Gleichberechtigung, die in einer professionellen Beziehungsarbeit in der Schule zwischen educator und zu Erziehendem nicht gegeben ist. Es wird angeleitet, Vorbild gegeben, Orientierung ermöglicht, gespiegelt und reflektiert. Hier wird mit Worten Rollenunklarheit geschaffen. Aber das ist ein anderes Thema.
Vielleicht sind diese Lehrer, die du meinst, allseits beliebt, weil sie „Kumpeltypen“ sind oder whatsapp-Gruppen mit ihrer Klasse unterhalten. Das ist aber keine reflektierte Beziehungsarbeit, sondern zielgruppenorientiertes Anbiedern. Wenn dann das Fachliche noch fehlt, dann könnte das einer der von mir erwähnten Kommilitonen sein.
>Aber auch ein prall gefüllter Rucksack kann nicht ausreichen, um ein professioneller Lehrer zu sein.
Sehe ich auch so. Professionalisierung gehört dazu. Aber ich glaube doch, dass bestimmte Charakterzüge/Eigenschaften angeboren oder früh erworben sind, ohne die man sich als Lehrer schwer tut. Also, dass man die nur sehr schwer nachträglich erwerben kann. Da sind wir uns aber wohl einig.
Und dann ist es sicher noch so, dass es für die meisten Lehrertypen passende Schülertypen gibt, die mehr von ihnen profitieren als andere. Insofern ist die Frage, was ein guter Lehrer ist, auch abhängig von der Art der Schüler. Ich selber habe als Schüler von Lehrern bestimmte Dinge verlangt, respektiert und geschätzt, die mir gefehlt haben; andere haben andere Dinge gesucht oder gebraucht. Vermutlich wird man später oft der Lehrer, bei dem man selbst am meisten profitiert hätte. Das ist dann unglücklich, wenn man auf ganz andere Schülertypen stößt und sich nicht gegenseitig anpassen kann.